Schere Gedanke Stein

Scheren sind Steine mit Gedanken. Nein, Steine sind Gedanken mit Scheren. Oder sind es doch eher die Gedanken, die Steine mit Scheren sind? Vielleicht sind aber Steine und Scheren nichts anderes als Gedanken? Wer weiß das schon?

 

Schere Gedanke Stein

 

Es ist das zweite von drei kurzen Werken, in denen ich Sie gerne auf eine kurze literarische Reise mitnehmen würde. In kleinen Kurzgeschichten versteckt, spiele ich mit Ihnen meine Variante von „Schere, Stein, Papier“.

 

Doch lassen Sie sich nicht täuschen!

 

Es soll nicht wichtig sein, ob Sie oder ob ich die bessere Wahl treffen. Es ist nicht wichtig, wer von uns gewinnt. Legen Sie Stein und Schere beiseite. Lassen Sie den Gedanken gewinnen!

Leseprobe

Wenn eines Tages der

Rote-Jacken-Mann kommt

 

Ich weiß es noch, als wenn es gestern gewesen wäre. Es war an einem Dienstag, da stand dort dieser Mann an der Ecke. Der Ecke einer Querstraße zu der Straße, in der ich wohne. Nichts sonderlich Interessantes sollte dieser Mann anfangs bieten. Er war etwa ein Meter und achtzig groß, hatte dunkelblondes Haar und trug diese rote Jacke. Er wäre ohne jede Beachtung geblieben, hätte er sich bewegt, aber das hat er nicht. Er stand einfach nur da. Regte sich fast gar nicht, wenn er nicht ab und an mal einige vorbeigehende Passanten angesehen und dabei den Kopf gedreht hätte.

Es dauerte so seine acht Stunden, bevor ich dann doch, von meinem begierigen Wissensdurst gedrängt, mich aus meiner Wohnung aufmachte, um diesem Mann eine Frage zu stellen. Doch was sollte ich fragen?

Was machen sie da? Geht es ihnen nicht gut? Kann ich ihnen helfen? Das wären einige plausible Fragen gewesen. Natürlich hätte es ja sein können, dass dem Mann irgendetwas fehlt. Vielleicht war er krank. Man kann so etwas ja nicht wissen. Und im Grunde wollte ich ja auch helfen und nicht nur mein Interesse stillen.

Also gelangte ich an der Ecke an, baute mich vor dem Mann auf und sprach ihm direkt ins Gesicht:

„Entschuldigen Sie, aber ich hätte eine Frage.“

„Ja.“, erwiderte mir dieser Rote-Jacken-Mann.

„Müssen sie ausgerechnet hier stehen? Geht´s nicht auch dort drüben? Auf der anderen Seite der Straße?“

„Nein, ich stehe lieber hier.“

„Aber warum?“

„Guter Mann, weil ich hier auf der linken Seite stehe.“

Ein kurzer Gedanke, der mir sagen wollte, aha, durchfuhr mein Gehirn, bevor ich antworten konnte. Ein leichtes Grinsen konnte ich leider nicht unterdrücken:

„Sie stehen an der Ecke einer Kreuzung. Es gibt hier keine linke Seite.“

„Wieso nicht?“

„Weil, wenn man von der anderen Seite herkommt, ich meine aus Richtung der Stadt, die andere Ecke dort hinten, links liegt.“

„Nun, von wo man kommt, ist mir ziemlich egal, aber, wenn ich Richtung Innenstadt will, so muss ich hier stehen. Hier ist dann links.“

„Aber nur, wenn sie von der Straße hier rechts kommen. Kommen sie hingegen von der hier links liegenden Straße, so müssen sie für eine linke Position dort drüben stehen.“

„Guter Mann, ich habe diese Gespräch sehr genossen, aber was wollen sie eigentlich von mir?“

„Ich will wissen, warum sie hier geschlagene acht Stunden herumstehen?“

„Wieso?“

„Ja, wieso stehen sie hier?“

„Nein, ich will wissen, wieso sie das wissen wollen?“

„Weil ich sie nun schon seit acht Stunden beobachte.“

„Hatten sie nichts Besseres zu tun?“

„Nein.“

„Schade, sie hätten sich zu mir stellen können. Wir hätten sicherlich ganz vorzüglich miteinander kommuniziert. Aber jetzt entschuldigen sie bitte, ich muss gehen.“

 

Der Mann ließ mich regelrecht im Regen stehen. Er ging links die Straße herunter und verschwand dann links um eine Ecke. Ich ging zurück in meine Wohnung. Ich hatte keine Lust allzu nass zu werden. Mein Haus liegt übrigens auf der rechten Seite, wenn man Richtung Innenstadt will. Ich werde wohl umziehen müssen. Verdammt, und ich war der Meinung, ich hätte an alles gedacht.

Frank Didden